Die Qualität von kompositionspädagogischen Projekten ist ein heikles und immer aktuelles Thema. Dabei ist schon der schillernde Begriff an sich eine Herausforderung, die einen schnell abwinken lässt: Wie soll man das denn bitte erfassen? Trotzdem ist es sinnvoll, sich dem Anspruch auf Qualität zu stellen und soweit möglich anzunähern. In zehn Gesprächen mit Expert_innen kristallisierte sich eine Definition von Qualität in Kompositionsprojekten entlang des Postulats der „Ermöglichung kreativen Komponierens“ heraus. Einige zentrale Kriterien für die Projektqualität, die von den Expert_innen aus unterschiedlichen Bereichen genannt wurden und durch die das Komponieren der Schüler_innen unterstützt werden kann, werden im Text vorgestellt. Sie umfassen sowohl die Rahmenbedingungen, die Prozesse in der Durchführung der Projekte als auch die handelnden Personen, und ihr Ziel ist es, den kreativen Ausdruck der Schüler_innen ins Zentrum zu stellen. Der folgende Text stellt eine Zusammenstellung einiger Ergebnisse aus der Dissertation „Zeitgenössische Musik vermitteln in Kompositionsprojekten an Schulen“ dar. In dem Buch wird beschrieben, wie sich die Kategorien durch die Anwendung der Grounded-Theory-Methodologie aus den Interviewaussagen herausbilden ließen. Für den Nachvollzug der Gedankenwege, die zu den Qualitätskriterien führten, sowie zum Nachlesen der zugrunde liegenden Interviewergebnisse sei deshalb auf das Buch verwiesen.1
Bei der Analyse der Aussagen stellte sich heraus, dass von den Expert_innen unabhängig von organisatorischen Rahmenbedingungen die „Ermöglichung kreativen Komponierens“ im Zentrum von Kompositionsprojekten gesehen wird. Die Schüler_innen erhalten durch die Anleitung von Musiker_innen, Komponist_innen oder anderen Künstler_innen2 die Gelegenheit, sich selbst ins Verhältnis zu setzen zu einer (musikalischen) Idee, zu einem (musikalischen) Material oder zu einer bereits vorhandenen Komposition als Spiegelfläche. Egal ob ihr musikalisches Produkt in einem langandauernden Prozess entsteht oder ob es innerhalb weniger Tage seine Form findet, egal ob das Produkt mehr improvisatorischen Charakter behält oder notiert wird, egal ob verschiedene Ergebnisse kleiner Gruppen oder Einzelner für sich Bestand haben, zu einem „großen Ganzen“ zusammengetragen werden oder ob von Anfang bis Ende die Großgruppe zu einem gemeinsamen Klangkunstwerk zusammenfindet: Im Zentrum steht der musikalisch-kompositorische Ausdruck der Schüler_innen. Laut der Interviews ist es Grundgedanke eines kompositionspädagogischen Projekts, dass jeder und jedem Einzelnen in der Gruppe zugetraut wird, seine oder ihre eigene ästhetische Stimme zu finden. Diese findet dann mit Hilfe der professionellen Musiker_innen in einen Gesamtablauf und ein stimmiges Konzept Eingang. Wie die Interviewten berichten sind die kreativen Prozesse und Produkte weder auf eine bestimmte Altersgruppe beschränkt noch ist dafür unbedingt instrumentales Können notwendig. Eine kleine Bemerkung am Rande sei dabei noch erlaubt, die sich während der theoretischen Beschäftigung mit dem Begriff des „Komponierens“ ergab: Dass in unserer Gesellschaft so häufig nur mit großer Zurückhaltung von kreativem Ausdruck (geschweige denn von „Komponieren“!) in Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen (oder Laien) gesprochen wird, hat mit der ganz eigenen Geschichte der deutschen Kultur- und Bildungstradition zu tun und ist keinesfalls als universelles Phänomen fraglos zu akzeptieren.
Bekommen die Schüler_innen im Rahmen der Kompositionsprojekte die Gelegenheit, in offenen Unterrichtssituationen ihre eigenen Ideen einfließen zu lassen und sich selbst spielerisch und experimentell mit Aufgabenstellungen auseinanderzusetzen, so kann dies, laut der Expert_innen, die eigene Erfahrung als „kreativ handelnde Person“ maßgeblich unterstützen. In der Projektform wird zudem die Struktur und Regelmäßigkeit des Schulunterrichts aufgebrochen. Durch die Arbeit mit einer Künstler_innenpersönlichkeit, die unvoreingenommen von außerhalb in die Schule kommt, wird der Alltag mit seinen innewohnenden Bedingungen und Einschränkungen außer Kraft gesetzt. Die Stimmen aller Beteiligten können gewichtig werden und die Expert_innen berichten, dass nicht nur die Klassenbesten die entscheidenden, spannenden und vorantreibenden Ideen einbringen. Wichtig zu betonen ist ihnen dabei allerdings, dass die Künstler_innen den Blick auf die Qualität der Ideen und Handlungen richten müssen und sich nicht vorschnell zufrieden geben, sondern hohe Ansprüche an die Ausarbeitung und die Ausführung stellen. Auch den Umgang mit Widersprüchen, Fehlern und Sperrigem schätzen sie in der Regel aus ihrer eigenen künstlerischen Praxis als etwas Fruchtbares. Damit können sie den Blick von Kindern und Jugendlichen auf „richtig“ oder „falsch“ wesentlich um die kreative Qualität, die in der eigentlichen Handlung verborgen liegt, erweitern.
Eine Nachhaltigkeit der Projekte ist durch die zumeist einmalige Teilnahme und zum Teil nur wenige Schulstunden dauernde Länge nicht zu erwarten – nur in mehrjährigen AGs wird unter Umständen eine so intensive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Mitteln zeitgenössischer Musik stattfinden, dass dies einen prägenden Einfluss auf die Entwicklung von Berufswünschen bzw. Studienwahlen haben kann (davon berichtet z.B. Silke Egeler-Wittmann). Ein wesentlicher Faktor der Kompositionsprojekte sind für alle Expert_innen (öffentliche) Präsentationen der Ergebnisse im Rahmen von Konzerten, in der Regel nicht nur für die eigene Schulöffentlichkeit, sondern darüber hinaus häufig eingebunden in Konzertreihen, als Vorveranstaltung zu anderen Konzerten oder als gemeinsame Aufführungen mehrerer Schüler_innengruppen. Diese Produkt-orientierung in den Projekten lenkt den Blick auch in den offeneren Arbeitsphasen immer auf ein erstrebenswertes Ziel hin und führt dazu, dass den Schüler_innen die Wichtigkeit ihrer Entscheidungen und Handlungen besonders bewusst wird. Gerade in der Eingebundenheit in eine außerschulische Veranstaltung erfahren sie ihre Wirkung auf die Gesellschaft und können nicht nur teil-„haben“ sondern vielmehr teil-„geben“.
Vor der Schablone dieser noch recht allgemein formulierten Chancen und Qualitäten von Kompositionsprojekten werden nun konkreter unterschiedliche Ebenen fokussiert, auf denen in der Planung, Durchführung und Evaluation der Projekte das Augenmerk liegen sollte. Dabei ist zu beachten, dass die folgenden Aspekte aus Interviews mit Expert_innen generiert wurden und daher eine breite Sichtweise auf das Feld erlauben, sicherlich aber nicht jeden Einzelfall aus der Praxis widerspiegeln. Es kann also durchaus sein, dass es Projekte gibt, die in einigen Punkten nicht den folgenden Kriterien entsprechen, dabei aber trotzdem als qualitätsvoll wahrgenommen werden. (Im Übrigen entspricht auch der umgekehrte Fall leider teilweise der Realität.) Es lohnt sich aber mit Sicherheit, immer wieder einmal die eigenen Abläufe, Annahmen und Routinen zu hinterfragen, um eine Weiterentwicklung und stete Optimierung der Projekte zu gewährleisten. Das Ziel, kreatives Komponieren der Schüler_innen zu ermöglichen, sollte dabei immer im Mittelpunkt stehen.