Hören und Dazugehören

Komponieren als auditiver Weltzugang

Autor: Matthias Handschick

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Matthias Handschick: Hören und Dazugehören ››› | 27.09.2017 | 16.09.2019

Welche Qualitätskriterien gelten für kompositionspädagogische Projekte?

Welche Qualitätskriterien gelten für kompositionspädagogische Projekte?

Autorin: Julia Wieneke

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Die Qualität von kompositionspädagogischen Projekten ist ein heikles und immer aktuelles Thema. Dabei ist schon der schillernde Begriff an sich eine Herausforderung, die einen schnell abwinken lässt: Wie soll man das denn bitte erfassen? Trotzdem ist es sinnvoll, sich dem Anspruch auf Qualität zu stellen und soweit möglich anzunähern. In zehn Gesprächen mit Expert_innen kristallisierte sich eine Definition von Qualität in Kompositionsprojekten entlang des Postulats der „Ermöglichung kreativen Komponierens“ heraus. Einige zentrale Kriterien für die Projektqualität, die von den Expert_innen aus unterschiedlichen Bereichen genannt wurden und durch die das Komponieren der Schüler_innen unterstützt werden kann, werden im Text vorgestellt. Sie umfassen sowohl die Rahmenbedingungen, die Prozesse in der Durchführung der Projekte als auch die handelnden Personen, und ihr Ziel ist es, den kreativen Ausdruck der Schüler_innen ins Zentrum zu stellen. Der folgende Text stellt eine Zusammenstellung einiger Ergebnisse aus der Dissertation „Zeitgenössische Musik vermitteln in Kompositionsprojekten an Schulen“ dar. In dem Buch wird beschrieben, wie sich die Kategorien durch die Anwendung der Grounded-Theory-Methodologie aus den Interviewaussagen herausbilden ließen. Für den Nachvollzug der Gedankenwege, die zu den Qualitätskriterien führten, sowie zum Nachlesen der zugrunde liegenden Interviewergebnisse sei deshalb auf das Buch verwiesen.1

Bei der Analyse der Aussagen stellte sich heraus, dass von den Expert_innen unabhängig von organisatorischen Rahmenbedingungen die „Ermöglichung kreativen Komponierens“ im Zentrum von Kompositionsprojekten gesehen wird. Die Schüler_innen erhalten durch die Anleitung von Musiker_innen, Komponist_innen oder anderen Künstler_innen2 die Gelegenheit, sich selbst ins Verhältnis zu setzen zu einer (musikalischen) Idee, zu einem (musikalischen) Material oder zu einer bereits vorhandenen Komposition als Spiegelfläche. Egal ob ihr musikalisches Produkt in einem langandauernden Prozess entsteht oder ob es innerhalb weniger Tage seine Form findet, egal ob das Produkt mehr improvisatorischen Charakter behält oder notiert wird, egal ob verschiedene Ergebnisse kleiner Gruppen oder Einzelner für sich Bestand haben, zu einem „großen Ganzen“ zusammengetragen werden oder ob von Anfang bis Ende die Großgruppe zu einem gemeinsamen Klangkunstwerk zusammenfindet: Im Zentrum steht der musikalisch-kompositorische Ausdruck der Schüler_innen. Laut der Interviews ist es Grundgedanke eines kompositionspädagogischen Projekts, dass jeder und jedem Einzelnen in der Gruppe zugetraut wird, seine oder ihre eigene ästhetische Stimme zu finden. Diese findet dann mit Hilfe der professionellen Musiker_innen in einen Gesamtablauf und ein stimmiges Konzept Eingang. Wie die Interviewten berichten sind die kreativen Prozesse und Produkte weder auf eine bestimmte Altersgruppe beschränkt noch ist dafür unbedingt instrumentales Können notwendig. Eine kleine Bemerkung am Rande sei dabei noch erlaubt, die sich während der theoretischen Beschäftigung mit dem Begriff des „Komponierens“ ergab: Dass in unserer Gesellschaft so häufig nur mit großer Zurückhaltung von kreativem Ausdruck (geschweige denn von „Komponieren“!) in Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen (oder Laien) gesprochen wird, hat mit der ganz eigenen Geschichte der deutschen Kultur- und Bildungstradition zu tun und ist keinesfalls als universelles Phänomen fraglos zu akzeptieren.

Bekommen die Schüler_innen im Rahmen der Kompositionsprojekte die Gelegenheit, in offenen Unterrichtssituationen ihre eigenen Ideen einfließen zu lassen und sich selbst spielerisch und experimentell mit Aufgabenstellungen auseinanderzusetzen, so kann dies, laut der Expert_innen, die eigene Erfahrung als „kreativ handelnde Person“ maßgeblich unterstützen. In der Projektform wird zudem die Struktur und Regelmäßigkeit des Schulunterrichts aufgebrochen. Durch die Arbeit mit einer Künstler_innenpersönlichkeit, die unvoreingenommen von außerhalb in die Schule kommt, wird der Alltag mit seinen innewohnenden Bedingungen und Einschränkungen außer Kraft gesetzt. Die Stimmen aller Beteiligten können gewichtig werden und die Expert_innen berichten, dass nicht nur die Klassenbesten die entscheidenden, spannenden und vorantreibenden Ideen einbringen. Wichtig zu betonen ist ihnen dabei allerdings, dass die Künstler_innen den Blick auf die Qualität der Ideen und Handlungen richten müssen und sich nicht vorschnell zufrieden geben, sondern hohe Ansprüche an die Ausarbeitung und die Ausführung stellen. Auch den Umgang mit Widersprüchen, Fehlern und Sperrigem schätzen sie in der Regel aus ihrer eigenen künstlerischen Praxis als etwas Fruchtbares. Damit können sie den Blick von Kindern und Jugendlichen auf „richtig“ oder „falsch“ wesentlich um die kreative Qualität, die in der eigentlichen Handlung verborgen liegt, erweitern.

Eine Nachhaltigkeit der Projekte ist durch die zumeist einmalige Teilnahme und zum Teil nur wenige Schulstunden dauernde Länge nicht zu erwarten – nur in mehrjährigen AGs wird unter Umständen eine so intensive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Mitteln zeitgenössischer Musik stattfinden, dass dies einen prägenden Einfluss auf die Entwicklung von Berufswünschen bzw. Studienwahlen haben kann (davon berichtet z.B. Silke Egeler-Wittmann). Ein wesentlicher Faktor der Kompositionsprojekte sind für alle Expert_innen (öffentliche) Präsentationen der Ergebnisse im Rahmen von Konzerten, in der Regel nicht nur für die eigene Schulöffentlichkeit, sondern darüber hinaus häufig eingebunden in Konzertreihen, als Vorveranstaltung zu anderen Konzerten oder als gemeinsame Aufführungen mehrerer Schüler_innengruppen. Diese Produkt-orientierung in den Projekten lenkt den Blick auch in den offeneren Arbeitsphasen immer auf ein erstrebenswertes Ziel hin und führt dazu, dass den Schüler_innen die Wichtigkeit ihrer Entscheidungen und Handlungen besonders bewusst wird. Gerade in der Eingebundenheit in eine außerschulische Veranstaltung erfahren sie ihre Wirkung auf die Gesellschaft und können nicht nur teil-„haben“ sondern vielmehr teil-„geben“.

Vor der Schablone dieser noch recht allgemein formulierten Chancen und Qualitäten von Kompositionsprojekten werden nun konkreter unterschiedliche Ebenen fokussiert, auf denen in der Planung, Durchführung und Evaluation der Projekte das Augenmerk liegen sollte. Dabei ist zu beachten, dass die folgenden Aspekte aus Interviews mit Expert_innen generiert wurden und daher eine breite Sichtweise auf das Feld erlauben, sicherlich aber nicht jeden Einzelfall aus der Praxis widerspiegeln. Es kann also durchaus sein, dass es Projekte gibt, die in einigen Punkten nicht den folgenden Kriterien entsprechen, dabei aber trotzdem als qualitätsvoll wahrgenommen werden. (Im Übrigen entspricht auch der umgekehrte Fall leider teilweise der Realität.) Es lohnt sich aber mit Sicherheit, immer wieder einmal die eigenen Abläufe, Annahmen und Routinen zu hinterfragen, um eine Weiterentwicklung und stete Optimierung der Projekte zu gewährleisten. Das Ziel, kreatives Komponieren der Schüler_innen zu ermöglichen, sollte dabei immer im Mittelpunkt stehen.

Strukturelle Qualitätskriterien

Gute organisatorische Bedingungen führen aus Sicht aller Expert_innen dazu, dass die Teamer_innen/Komponist_innen mehr Zeit und Energie in die eigentliche pädagogisch-musikalische Arbeit stecken können. Dazu gehören auch scheinbar banale Aspekte, wie z.B. im Vorfeld geklärte räumliche Bedingungen. Zum Beispiel beschreiben sie es als wenig sinnvoll, wenn in 45 Minuten Projekt noch Auf- und Umbau eines Raums integriert werden müssen. Auch die Länge des gesamten Projektes sollte wohl überlegt sein und nicht zu knapp bemessen, ebenso die Verteilung der Stunden – ob nun mehrere ganze Tage hintereinander oder eine Aufteilung von regelmäßigen Projektstunden über mehrere Wochen, da spielen sicherlich die Vorlieben der Teamer_innen wie auch die Umstände mit hinein. Da der Aufbau langfristiger Kooperationen für eine qualitätsvolle Weiterentwicklung der Projektarbeit eine notwendige Bedingung ist, sehen es gerade die Expert_innen in größeren Kompositionsprojekten mit mehreren Partnerinstitutionen als wichtig an, dass sich die Projektpartner_innen im Vorfeld darüber austauschen, welche inhaltlichen und pädagogischen Schwerpunkte sie jeweils vertreten und mit welcher Motivation sie in dem Projekt tätig sind. Wenn im Anschluss an die Projektarbeit Gelungenes und Schwieriges im Team reflektiert wird, ergibt sich daraus die Chance, die nächsten Projekte immer wieder in Organisation und Planung anzupassen. Außerdem ist aus Sicht der Expert_innen ein Planungsbüro oder ein Veranstalter hilfreich, der einige administrative Aufgaben übernehmen kann (z.B. Projektanträge stellen, Schulen akquirieren, Programmhefte drucken, Teamtreffen terminieren etc.). Als wichtig wird angesehen, dass die Mitarbeiter_innen in den Projekten ein Grundverständnis für die Arbeitsbedingungen der jeweils „anderen Seite“ mitbringen. Dies ist umso entscheidender, je verschiedener und vielfältiger die Institutionen eines Projektes sind –als Beispiel werden hier die unterschiedlichen Jahresabläufe von beispielsweise Schulen und Universitäten/Hochschulen oder Festivals aufgeführt. Für die unterschiedlichen Institutionen bedeutet die Projektarbeit in Kooperationen also auch die Bereitschaft, sich dauerhaft füreinander zu öffnen, und dies setzt eine zuverlässige Kommunikation auf Augenhöhe zwischen den Partner_innen voraus. Auch die finanzielle Basis der Projekte sollte realistisch abgesichert und möglichst auf eine langfristige Zusammenarbeit hin angelegt sein. Die Teamer_innen müssen für ihren Aufwand angemessen vergütet werden, geschieht dies nicht, so betonen besonders die zumeist selbstständigen Musiker_innen und Komponist_innen, muss damit gerechnet werden, dass ökonomische Begründungen verständlicherweise in den Vordergrund rücken und nicht die möglichst hohe künstlerisch-pädagogische Qualität der Projektarbeit. Für alle Beteiligten sind Kompositionsprojekte mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand verbunden und eine Wertschätzung dieser Mehrarbeit durch die Organisator_innen wird als ein großer Motivationsfaktor angesehen. Diese Wertschätzung zeigt sich am Ende einer Projektphase unter anderem ganz konkret in den (außerschulischen) Auftrittsgelegenheiten.

Prozessuale Qualitätskriterien

Aus den Expert_inneninterviews wurde deutlich, dass die Abläufe und Stationen der Kompositionsprojekte in der Praxis sehr vielfältig und individuell organisiert werden. Daher kann an dieser Stelle kein eindeutiger Katalog an Kriterien genannt werden, der zuverlässig gelingende Projekte produziert – wie solche Rezepte überhaupt in pädagogischen Zusammenhängen eine Utopie und auch nicht erstrebenswert sind. Trotzdem lieferten die Interviewaussagen Hinweise auf bestimmte sinnvolle Vorgehensweisen bzw. Einstellungen in bestimmten Phasen. Zunächst einmal wird in fast allen Berichten von der Beschränkung des Themenfeldes im Vorfeld berichtet, sei es auf eine Referenzkomposition, eine bestimmte (musikalische) Idee oder ein bestimmtes Instrumentarium. In dieser Vorauswahl liegt die Chance, dass die Schüler_innen schneller mit der eigentlichen kreativen Aufgabe beginnen können und nicht von der Fülle der Möglichkeiten überfordert werden. Gerade für Novizen in einem Feld, was die Schüler_innen im Bereich Komposition fast ausnahmslos sein werden, ist eine Orientierungshilfe durch die Expert_innen (hier die Kompositionspädagog_innen) sinnvoll, damit sie sich nicht verlieren oder Aufgaben auswählen, die sie im gesetzten (Zeit-)Rahmen nicht produktiv bearbeiten können. Dadurch wird auch ein reflektiertes Vorgehen möglich und die Gruppen können ein Abgleiten in allzu klischeehafte Klangspielereien vermeiden (so sie nicht an bestimmten Stellen mit Absicht zum Einsatz kommen). Grundsätzlich sollte aus Sicht der Expert_innen bedacht werden, dass für eine offenere Herangehensweise in der Materialsammlungs- und -entwicklungsphase genügend Zeit benötigt wird, damit die Ideen der Schüler_innen gesichtet, auf ihre Qualitäten hin untersucht und in Details weiterentwickelt werden können. Als wichtig beschreiben einige der Befragten gerade zu Beginn der Projekte eine Fokussierung auf die klangliche Wahrnehmung (z.B. durch Hörübungen), da die Schüler_innen auf diese Weise sensibilisiert werden können für die musikalischen/klanglichen Qualitäten ihrer Umwelt und sie es im Verlauf der Projekte mehr und mehr schaffen sollten, ihre eigenen Ergebnisse realistischer einzuschätzen. Aus Sicht der Interviewten ist „Offenohrigkeit“ ein mögliches Ergebnis eines Kompositionsprojekts und gleichzeitig auch ein guter Startpunkt, um neugierig zu werden auf das (zeitgenössische) Komponieren. Den ersten Aufgabenformulierungen in den gemeinsamen Projektstunden sollte dabei aus ihrer Sicht besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da hier die motivationalen Weichen für die weitere Projektarbeit gestellt werden. Daher sollten die Teamer_innen diese ersten Übungen gut auf die Lerngruppe abstimmen und flexibel auf die Bedürfnisse der Schüler_innen reagieren. Wichtig ist dabei ihrer Meinung nach aber auch, dass die Teamer_innen es schaffen, die vorhandenen individuellen Fähigkeiten der Schüler_innen wahrzunehmen und in die Projektarbeit einzubinden. So erfahren sie ebenfalls eine Wertschätzung, nehmen sich selbst als kompetente Gestalter_innen ihrer musikalischen Ideen wahr und können ihr kreatives Potenzial ausschöpfen. In den späteren Auswahlphasen der Kompositionsprojekte werden die Teamer_innen in besonderer Weise in ihrer gestalterische Kompetenz als Kompositionspädagog_innen gefragt, da sie nun behutsam die Ideen der Schüler_innen weiterformen und zusammensetzen, aber auch konstruktive Kritik äußern, um ihre hohen Ansprüche an das entstehende künstlerische Werk zu verdeutlichen. Hier beschreiben sie, dass sie Widerstände, Probleme und Brüche als Lerngelegenheiten für alle aufgreifen, beharrlich bei der Sache bleiben und den Schüler_innen Durchhaltevermögen im Prozess vermitteln – etwas, das im Regelunterricht der Schule sicherlich nur begrenzt vermittelt werden kann. In der konkreten Vorbereitung auf den Auftritt ist die Übemotivation und der Gesamtüberblick der Künstler_innen gefragt, denn sie ermuntern die Schüler_innen immer wieder, die Ansprüche an die Darbietung des eigenen Stücks so hoch wie möglich zu setzen. Daher sind zu diesem Zeitpunkt im Gespräch mit den Expert_innen die Wiederholung, die Genauigkeit in der Reproduktion (sofern sie vorgesehen ist) sowie die Stimmigkeit des gesamten Stückes immer wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Personale Qualitätskriterien

Auf der persönlichen Ebene spielen aus Sicht der Interviewpartner_innen ebenfalls einige Faktoren eine Rolle, die die Projekte wesentlich zum Positiven beeinflussen – oder die im ungünstigsten Fall die Erfahrung von Kreativität bei den Schüler_innen behindern können. Neben den berufsspezifischen Kompetenzen der beteiligten Personen, Lehrer_innen wie Musiker_innen/Komponist_innen sind es vor allem überfachliche Fähigkeiten, die in den Interviews herausgestellt wurden. So sollten die Komponist_innen in der Lage sein, ihre eigene, den Schüler_innen vielleicht fremde ästhetische Denkweise verbal zu vermitteln und sich auf der Lerngruppe angemessenem Niveau auszutauschen – hier macht es eben einen entscheidenden Unterschied, ob man an einer dörflichen Grundschule, einem altsprachlichen Gymnasium oder an einer Gesamtschule im „Problemviertel“ arbeitet. Daher wird auf Seiten der Künstler_innen ein Grundverständnis für die Jugendlichen eingefordert, sollten Offenheit und Respekt im Umgang selbstverständlich sein. Ob man sich nun im Projekt stärker auf die musikalische Lebenswelt der Schüler_innen einlässt, oder dieser mit Absicht ein Gegengewicht entgegensetzen möchte, das beschreiben die Expert_innen als individuelle Entscheidung der Teamer_innen für sich und das Projektteam im Vorfeld. Wichtig ist für sie dabei vor allem, dass die Authentizität im Umgang spürbar bleibt. Allerdings merken einige Interviewpartner_innen an, dass die Chance der Auseinandersetzung mit einer ganz fremden und neuen ästhetischen Grundhaltung eine Besonderheit der Projekte darstellt und man diese nicht vorschnell zugunsten von Schüler_innenwünschen/-vorstellungen aufgeben sollte. Überhaupt werden künstlerische Entscheidungen an verschiedenen Stellen der Projektarbeit von den Teamer_innen gefordert sein und die Expert_innen betonen, dass diese den Schüler_innen nachvollziehbar kommuniziert und erklärt werden sollten. Die notwendige Offenheit im Prozess wird auch dann sichtbar, wenn Komponist_innen die Projekte für sich selbst als Lernchance entdecken und nutzen, was auch bedeuten kann, sich in der (möglichst gemeinsamen) Planung von den Lehrer_innen methodische oder pädagogische Tipps geben zu lassen. Diese Offenheit ist auch auf Seiten der Lehrkräfte ein zentraler Faktor in den Interviews, der eine Voraussetzung für die Projektarbeit im Team darstellt. Für die Lehrer_innen ergibt sich aus Sicht der Interviewten damit einhergehend eine seltene Chance: Sie können die Schüler_innen (zumeist anders als im pädagogischen Alltag) in freieren Situationen dabei beobachten, wie sie ihre kreativen Ideen und andere Kompetenzen in das Projekt einbringen und sich von ganz überraschenden Seiten zeigen. In der Projektarbeit beschreiben die Expert_innen den ansonsten lernziel-orientierten Fokus des Unterrichts aufgebrochen und die Lehrkräfte müssen die damit entstehenden Unsicherheiten und Suchbewegungen im Prozess aushalten können. Sinnvoll und wichtig ist die möglichst gemeinsame Arbeit sowohl in der Planung als auch der Durchführung der Projekte, wobei die Lehrkräfte sich mit ihren ganz eigenen Kompetenzen einbringen. Ein kompletter Rückzug (oder gar ein Alleinlassen der Kompositionspädagog_innen!) ist für die Befragten nicht im Sinne der Projektarbeit.

Qualität im Team

Ein besonderer Aspekt der Projektarbeit soll an dieser Stelle noch einmal herausgehoben werden: das Arbeiten im Team. Das ist in den Gesprächen ein zentraler Faktor dieser besonderen Form von Kooperationen und zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Ebenen von der Organisation bis zu den Projektabläufen. Schon in der Rahmenplanung der Projekte sollte die Teambildung in besonderer Weise Beachtung finden. Dieser sensible Moment kann aus Sicht der Expert_innen viel beitragen zum späteren Gelingen oder Scheitern der eigentlichen kompositorischen Arbeit im Klassenraum. Daher ist als Fazit der meisten Interviewaussagen zu empfehlen, dass die Teambildung weder dem Zufall, noch rein organisatorischen Bedingungen oder gar dritten Personen überlassen bleibt – nur in einem Fall wurde in den Interviews abweichend davon von einer zufälligen Zusammenstellung der Teams gesprochen. Stattdessen sollte, so wird es in einigen Fällen beschrieben, im Zuge der Projektplanung ein gemeinsamer Starttermin angesetzt werden, zu dem alle Teilnehmer_innen (Lehrer_innen wie Teamer_innen) sich zum ersten Mal treffen, sich über die Ziele und Vorstellungen im Projekt austauschen können und sich ein erstes Mal – vielleicht sogar auch künstlerisch – beschnuppern können. Zu diesem Zeitpunkt kann dann auf die eine oder andere Weise die Teambildung eingeleitet werden, sodass Sympathie, gemeinsame Vorstellungen und Grundhaltungen sowie Neugier in die Wahl der Teampartner_innen einfließen können. Die Projektleitung sollte diese Prozesse mit Aufmerksamkeit verfolgen und in der Planung der Projekte zusätzlich einige Teamtreffen während der akuten Projektphase vorgesehen haben. Zu diesen Zeitpunkten kann dann ein Austausch zwischen den verschiedenen Teams, bzw. zwischen den unterschiedlichen Personengruppen (z.B. alle Lehrer_innen unter sich, alle Komponist_innen etc.) zu aktuellen Themen stattfinden. Diese Treffen bieten aus Sicht der Expert_innen die Gelegenheit, tolle Momente und Entwicklungen zu berichten, von Problemen oder Schwierigkeiten zu erzählen und sich Hilfestellungen und Tipps zu geben. Diese „Metakommunikationen“ werden auch als hilfreich beschrieben, wenn ein Projekt festgefahren scheint, neue Sichtweisen nötig werden oder im Ausnahmefall sogar einmal ein Team neu zusammengesetzt werden muss. Wenn die Projektgröße solche Treffen nicht hergibt, so wäre es doch empfehlenswert, trotzdem in der Planung möglichst immer wieder Momente der Metakommunikation im einzelnen Team zwischenzuschalten, um den Ablauf des gesamten Projekts zu reflektieren. Öffnet man den Blick über das einzelne Projekt hinaus, so wünschen sich einige Expert_innen zentrale Austauschrunden oder jährliche Zusammentreffen gerade für die Kompositionspädagog_innen und Lehrer_innen, die regelmäßig in solchen Projekten arbeiten.

Es gibt auch noch viele andere Formen von multiprofessionellen Teams, die in Schulen gemeinsamen Unterricht bzw. Projekte gestalten, jedoch sollen hier noch einmal genauer die Chancen in dieser Form der Kollaboration zwischen Komponist_innen/Künstler_innen und Pädagog_innen aufgezeigt werden, wie sie immer wieder in den Interviews angesprochen werden. Natürlich stellt das Arbeiten in der eigenen Domäne bestimmte besondere Ansprüche an Lehrer_innen wie Komponist_innen und die so vorhandenen Kompetenzen sollten von den Teamer_innen_innen genutzt werden, um sich in der Planung, Durchführung und Reflexion der Projekte gegenseitig zu unterstützen und ergänzen. Aus Sicht der Expert_innen kennen Lehrer_innen ihre Schüler_innen genau, sie wissen, welche Aufgabenstellungen und Formulierungen für die Gruppe angemessen sind, wie lang die Arbeitsphasen dauern sollten und wie man das Lernen am besten fördert. Sie können auch schon im Vorfeld Gruppen zusammenstellen oder auf bestimmte instrumentale Fähigkeiten Einzelner hinweisen. Außerdem kennen sie sich mit dem System Schule aus, sie wissen um alle organisatorischen Belange und behalten auch den gesamten Ablauf des Projekts vor dem Hintergrund von Lernzielen/Kompetenzen etc. im Auge. Die Kompositionspädagog_innen dagegen haben aus Sicht der Befragten ihre besondere Stärke in der ästhetischen Wahrnehmung und in dem kompositorischen Blick auf das musikalische Material/Thema. Sie können ästhetische Prozesse durch geeignete offene Aufgabenstellungen besonders gut anregen und bringen insgesamt einen neuen Zugang in die Schule. Sie haben künstlerische Vorstellungen von einem Produkt, das am Ende entstehen könnte, sie wählen gezielte Aktionen und Beiträge aus, lassen sich nicht beirren, wenn „Reibung“ aufkommt, sondern greifen im Gegenteil auf, was an ungewöhnlichen oder ausgefallenen Angeboten aus der Gruppe entsteht (so beschreibt es z.B. Astrid Schmeling). Sie haben während des gesamten Prozesses ein Gespür dafür, wo die Reise hingehen kann und schaffen es als Vorbilder, die Schüler_innen in den Übephasen immer wieder zur Genauigkeit und Reflexion anzuhalten. Mit ihren vielfältigen Erfahrungen auf der Bühne geben sie der Gruppe Sicherheit und sorgen dafür, dass das Produkt am Ende eine überzeugende Wirkung auf das Publikum haben kann. Nicht zuletzt beschreiben die Expert_innen, dass sie den Schüler_innen unvoreingenommen begegnen und sie als Persönlichkeiten wahrnehmen können, ohne den Zwang einer späteren Leistungsbewertung.

Alle diese einzelnen Kompetenzen sind natürlich bei jedem Menschen auf eine spezielle Weise zusammengesetzt und ausgeprägt, wichtig erscheint es in der Gesamtschau der Interviewaussagen daher, seine eigenen Stärken und Schwächen von Beginn an zu kommunizieren und sich in der Planung bereits darüber zu verständigen, welche Aufteilung der Arbeit im gesamten Projekt vorgesehen ist. Sicherlich ist es sinnvoll, die Lehrer_innen mit ihrer pädagogischen Ausbildung auch in die erzieherischen Prozesse einzubinden, doch bleibt, wenn man sich darauf beschränkt, eventuell das Potenzial der Projekte nicht ausgeschöpft. Idealerweise, so könnte ein Fazit der Aussagen lauten, sollte die Projektarbeit dazu führen, dass die gemeinsame Unterrichtszeit tatsächlich auch gemeinsam geplant und gestaltet wird, der/die Lehrer_in nicht nur als „Disziplinator_in“ und „Organisator_in“ eingesetzt wird und Vorschläge und Ideen der anderen Teamer_innen offen angenommen werden. Ein wertvolles Ziel der Kompositionsprojekte könnte es dann folglich sein, dass die Schüler_innen das ihnen vorgelebte gemeinsame Gestalten auch in ihre eigenen Kleingruppen übernehmen und sie es schaffen, die Ideen aller Gruppenmitglieder in ihre musikalischen Beiträge zu integrieren. Am Ende eines solchen offenen und wertschätzenden gemeinsamen Prozesses kann dann das Ganze zu mehr als der Summe seiner Teile werden.

Weiterführende Links

Weiterführende Informationen:

Anmerkungen:

  1. Julia Wieneke: Zeitgenössische Musik vermitteln in Kompositionsprojekten an Schulen, Hildesheim: Olms 2016.
  2. Da die Bezeichnungen sich je nach Projekt und Selbstverständnis deutlich voneinander unterscheiden, sich dabei aber die tatsächliche Tätigkeit ähnelt, beschränke ich mich hier nicht auf ein Wort. Im Folgenden werden also die außerschulischen Projektmitarbeiter mal als Komponist_innen, Kompositionspädagog_innen, Musiker_innen oder Künstler_innen bezeichnet. Teamer_innen dagegen bezeichnet in diesem Sinne alle anleitenden Personen, also auch die Lehrkräfte miteingeschlossen.

 

 

Julia Wieneke: Welche Qualitätskriterien gelten für kompositionspädagogische Projekte? ››› | 24.08.2020 | 24.08.2020